Das Interesse an Pflegeberufen bei Jugendlichen ist nach der COVID-19-Pandemie in drei von vier europäischen Ländern gesunken. Obwohl die Pandemie die wichtige Rolle des Gesundheitspersonals an vorderster Front ins Bewusstsein rückte, legte sie auch die Herausforderungen und Belastungen offen, denen Beschäftigte im Gesundheitssektor ausgesetzt sind. Chronischer Personalmangel, verlängerte Arbeitszeiten und hoher Stress haben zu weitverbreiteter Unzufriedenheit, Burnout und einer Neigung geführt, die Arbeitszeit zu reduzieren oder die Branche ganz zu verlassen.
Laut der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) sind diese Bedingungen die Hauptgründe dafür, dass das Interesse junger Menschen an Pflegeberufen sinkt. Daten des Programms zur internationalen Schulleistungsbewertung (PISA) zeigen, dass in vielen europäischen Ländern immer weniger Jugendliche eine Karriere in der Pflege anstreben.
Rückgang des Interesses an Pflegeberufen in drei Vierteln der europäischen Länder
Laut OECD-Daten ist das Interesse an Pflegeberufen bei 15-Jährigen zwischen 2018 und 2022 in 19 von 25 europäischen Ländern deutlich gesunken. Der durchschnittliche Prozentsatz der Interessierten liegt in Europa bei nur 1,72 %, und in einigen Ländern übersteigt der Rückgang sogar 0,5 Prozentpunkte (pp). Der Rückgang des Interesses war besonders in Norwegen und Dänemark spürbar, wo er jeweils um 1,2 pp sank. Finnland und Island verzeichnen ebenfalls einen Rückgang von 0,4 pp, während in Schweden das Interesse um 0,2 pp abnahm.
Zusätzlich sank das Interesse an Pflegeberufen in Irland, Tschechien, der Schweiz, dem Vereinigten Königreich und Slowenien um mehr als 0,5 pp. Dennoch zeigten Länder wie die Slowakei, Portugal und Spanien moderate Zuwächse im Interesse an Pflegeberufen unter 15-Jährigen – mit einer Steigerung von 0,5, 0,4 bzw. 0,3 pp.
Trotz Rückgang: Norwegen bleibt Spitzenreiter beim Interesse an Pflegeberufen
Trotz des allgemeinen Rückgangs verzeichnet Norwegen weiterhin den höchsten Anteil Jugendlicher, die Interesse an einer Pflegekarriere zeigen. Im Jahr 2022 gaben 3,9 % der 15-Jährigen an, eine Karriere in der Pflege anstreben zu wollen. Es folgen die Niederlande mit 3,3 % und Frankreich mit 3,1 %. Diese drei Länder sind die einzigen, in denen das Interesse über 3 % liegt.
Auf der anderen Seite gibt es in sieben Ländern, darunter Polen, Litauen, Lettland, Estland, Ungarn, Italien und Griechenland, weniger als 1 % Interesse an Pflegeberufen. Der europäische Durchschnitt liegt bei 1,7 %, während der OECD-Durchschnitt bei 2,1 % liegt.
Herausforderungen des Pflegeberufs: „Helden“ unter schwierigen Bedingungen
Die OECD stellt fest, dass die Pandemie eine komplexe Wirkung auf das Interesse junger Menschen an der Pflege hatte. Auch wenn Pflegekräfte als „Helden des Gesundheitswesens“ gefeiert wurden, zeigte die Pandemie auch die schwierigen Arbeitsbedingungen auf, wie lange Arbeitszeiten, hohe Belastung und geringe Entlohnung. Dieses zwiespältige Bild – Pflege als Berufung, die Opferbereitschaft erfordert – schreckt oft junge Menschen davon ab, diesen Beruf zu wählen.
Laut OECD stehen die Veränderungen im Interesse an Pflegeberufen zwischen 2018 und 2022 nicht direkt in Zusammenhang mit der Schwere der Pandemie, gemessen an Todes- und Infektionsraten. Dies deutet darauf hin, dass der Rückgang eher auf die wahrgenommenen Arbeitsbedingungen und das allgemeine Image des Berufs zurückzuführen ist.
Geschlechterklischees und geringe männliche Beteiligung in der Pflege
Pflegeberufe bleiben stark geschlechtergeprägt: Im Jahr 2022 waren über 90 % der 15-jährigen Jugendlichen, die Interesse an der Pflege zeigten, Mädchen. In Ländern wie Lettland und Polen ist das Interesse unter Jungen nahezu nicht vorhanden. Nur in fünf Ländern, darunter Italien, Slowenien und Spanien, liegt das Interesse unter Jungen bei über 15 %.
Um das Interesse an Pflegeberufen auch unter jungen Männern zu steigern, führen einige Länder verschiedene Förderprogramme ein, um stereotype Vorstellungen zu durchbrechen. Dennoch bleibt die Überwindung des Bildes der Pflege als typischer „Frauenberuf“ eine gesellschaftliche Herausforderung, die sowohl eine Aufwertung der Pflege als auch eine Verbesserung der Bezahlung und Arbeitsbedingungen erfordert.
Verbesserungen der Arbeitsbedingungen und Anreize zur Nachwuchsgewinnung
Viele Länder bieten finanzielle Anreize wie reduzierte Studiengebühren und Stipendien, um das Interesse an der Pflege zu steigern. Die OECD hebt jedoch hervor, dass neben finanziellen Anreizen auch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Gehälter notwendig ist, um das Image des Berufs zu verbessern und das Interesse sowohl von jungen Männern als auch Frauen zu wecken.
Die Organisation warnt zudem, dass Länder bei anhaltendem Personalmangel zunehmend auf internationale Rekrutierungen angewiesen sein könnten. Dies könnte jedoch den Pflegepersonalmangel in den Herkunftsländern verschärfen.
Große Unterschiede bei den Gehältern von Pflegekräften in Europa
Eine Analyse der Gehälter von Pflegekräften basierend auf der Kaufkraftparität (PPP) zeigt erhebliche Unterschiede in Europa. Im Jahr 2021 variierten die Gehälter von 18.720 Euro in Litauen bis zu 70.455 Euro in Luxemburg. Unter den großen europäischen Ländern zahlt Deutschland mit 44.100 Euro das höchste Gehalt auf PPP-Basis, gefolgt von Spanien (39.150 Euro), Frankreich (32.400 Euro) und Italien (28.764 Euro). Am unteren Ende der Skala befinden sich Litauen, Lettland, Portugal, die Slowakei und Griechenland.
Deutliche Unterschiede in der Anzahl von Pflegekräften pro Kopf in Europa
Laut OECD-Daten variiert die Anzahl von Pflegekräften pro 1.000 Einwohner in Europa stark. 2021 hatte Finnland mit 18,9 Pflegekräften pro 1.000 Einwohner die höchste Dichte, gefolgt von der Schweiz mit 18,4 und Norwegen mit 18,3. Am unteren Ende der Skala stehen die Türkei und Griechenland mit nur 2,8 bzw. 3,8 Pflegekräften pro 1.000 Einwohner.
Dieses Ungleichgewicht und der Mangel an Pflegepersonal in einigen Ländern verdeutlichen die Notwendigkeit strategischer Maßnahmen, um eine flächendeckende Gesundheitsversorgung für alle europäischen Bürger zu gewährleisten.
Informationsquelle: who . int