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Prostatakrebs wird in Europa „überdiagnostiziert“ – In welchen Ländern sind die größten Unterschiede

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Große Unterschiede bei Prostatakrebs-Inzidenz in Europa: Überdiagnosen als möglicher Faktor
Eine neue Studie hat aufgedeckt, dass die Inzidenzraten von Prostatakrebs in Europa bis zu 20-fach zwischen den Ländern variieren können, während die Mortalität nur etwa um das Fünffache unterschiedlich ist. Diese Ergebnisse, veröffentlicht im British Medical Journal, deuten darauf hin, dass Überdiagnosen von Prostatakrebs maßgeblich zu den erheblichen Unterschieden in der Inzidenz zwischen den Ländern beitragen könnten. Überdiagnosen führen oft zu unnötigen Behandlungen, die die Lebensqualität der Betroffenen beeinträchtigen können.

Überdiagnose: Ein wachsendes Problem bei der Früherkennung von Prostatakrebs
Überdiagnose bezieht sich auf die Erkennung von Tumoren, die im Laufe des Lebens einer Person keine Symptome verursachen oder zu keiner ernsthaften Erkrankung oder zum Tod führen würden. Dies kann zu unnötigen Behandlungen führen, die nicht nur medizinische Ressourcen belasten, sondern auch die Lebensqualität der Patienten durch Nebenwirkungen wie Inkontinenz oder Impotenz erheblich mindern können. „Die Ergebnisse dieser Studie sind mit einer großen Überdiagnose von Prostatakrebs kompatibel, die durch opportunistisches Screening mittels PSA-Tests erfolgt“, sagte Dr. Salvatore Vaccarella, Wissenschaftler bei der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) und Hauptautor der Studie.

Der PSA-Test: Segen oder Fluch?
Der PSA-Test misst das prostataspezifische Antigen im Blut und wird oft als Screening-Methode zur Früherkennung von Prostatakrebs eingesetzt. Während der Test in vielen Fällen Tumore frühzeitig entdeckt, birgt er auch das Risiko, harmlose Tumoren zu diagnostizieren, die nie zu gesundheitlichen Problemen führen würden. Prostatakrebs machte im Jahr 2020 fast ein Viertel aller neuen Krebsfälle bei europäischen Männern aus und war für über 70.000 Todesfälle verantwortlich. Das Risiko von Überdiagnosen und Überbehandlungen ist bei der Früherkennung von Prostatakrebs höher als bei anderen Krebsscreenings wie Brust-, Gebärmutterhals- und Darmkrebs.

Die meisten europäischen Länder, mit Ausnahme von Litauen, das seit 2006 ein nationales Screening-Programm hat, haben sich gegen weitflächige Programme entschieden. Stattdessen basiert die Entscheidung über PSA-Tests oft auf individuellen Gesprächen zwischen Patienten und Ärzten, was zu einer hohen Rate an opportunistischen Screenings führt. „On-demand und opportunistische Screenings haben wahrscheinlich einen weniger optimalen Effekt auf die Bevölkerung“, so die Autoren der Studie.

Risiken und Herausforderungen von opportunistischem Screening
Frühere Studien haben gezeigt, dass viele Männer, die durch PSA-Tests auffällig werden, nie an den Konsequenzen ihres Tumors gelitten hätten. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2009 ergab, dass 23 bis 42 Prozent der Männer, die durch PSA-Tests markiert wurden, ihr Leben ohne eine Prostatakrebsdiagnose hätten verbringen können. Diese hohe Rate an Überdiagnosen verdeutlicht die Notwendigkeit, künftige Screening-Programme so zu gestalten, dass die Schäden minimiert werden. „Die Ergebnisse dieser neuen Studie unterstreichen die Bedeutung, dass jede zukünftige Implementierung von Prostatakrebs-Screenings sorgfältig gestaltet wird, um die Schäden durch Überdiagnosen zu minimieren, mit strenger Qualitätskontrolle, Bewertung und kontinuierlicher Überwachung der Nutzen und Schäden auf Bevölkerungsebene“, betonte Vaccarella.

Große Unterschiede in Inzidenz- und Mortalitätsraten in Europa
Die Inzidenzraten zwischen den Ländern variieren erheblich: Von 89,6 pro 100.000 Männer im Jahr 1985 bis zu 385,8 pro 100.000 Männer im Jahr 2007. Die Mortalitätsraten hingegen waren weitaus stabiler und lagen zwischen 23,7 pro 100.000 Männer im Jahr 1983 und 35,6 pro 100.000 Männer im Jahr 2006. Diese Diskrepanz deutet darauf hin, dass viele diagnostizierte Fälle von Prostatakrebs keinen tödlichen Verlauf nehmen, was die Wichtigkeit einer differenzierten Betrachtung und Behandlung unterstreicht. Es zeigt, dass die Inzidenz von Prostatakrebs oft stark vom Einsatz diagnostischer Methoden und weniger von der tatsächlichen Schwere der Krankheit beeinflusst wird.

Herausforderungen bei der Gestaltung effektiver Screening-Programme
Die Gestaltung effektiver Screening-Programme stellt eine komplexe Herausforderung dar. Es gilt, ein Gleichgewicht zu finden zwischen der frühzeitigen Erkennung behandlungsbedürftiger Tumoren und der Vermeidung unnötiger Eingriffe. Die Forscher fordern eine sorgfältige Qualitätskontrolle, um sicherzustellen, dass die Vorteile der Früherkennung die potenziellen Schäden überwiegen. Dies könnte durch verbesserte Tests, gezieltere Screening-Kriterien und eine verstärkte Aufklärung der Patienten über die möglichen Risiken und Folgen eines Screenings erreicht werden.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten stehen vor der Herausforderung, den Zugang zu Screening-Programmen zu regeln, ohne gleichzeitig eine Welle von Überdiagnosen auszulösen. Während einige Länder wie Litauen nationale Programme eingeführt haben, setzen andere auf individualisierte Entscheidungen, was zu großen Unterschieden in den Inzidenzraten führt. Es wird zunehmend klar, dass ein einheitlicher Ansatz mit qualitätsgesicherten Methoden erforderlich ist, um die Vorteile des Screenings zu maximieren.

Limitierungen der Studie und vorsichtige Interpretation der Ergebnisse
Die Ergebnisse der Studie basieren auf der Analyse von Daten von Männern im Alter von 35 bis 84 Jahren aus 26 europäischen Ländern, die zwischen 1980 und 2017 gesammelt wurden. Die Forscher wiesen darauf hin, dass die Analyse auf unterschiedlichen Altersgruppen und Zeiträumen basiert, was die Interpretation der Ergebnisse erschwert. Da es sich um eine Beobachtungsstudie handelt, können keine definitiven Schlussfolgerungen über Ursache und Wirkung gezogen werden.

Trotz dieser Einschränkungen zeigt die Studie deutlich, dass die Erkennung und Behandlung von Prostatakrebs sorgfältig abgewogen werden müssen, um unnötige Behandlungen und die damit verbundenen Risiken zu vermeiden. Die Erkenntnisse verdeutlichen, wie wichtig es ist, zukünftige Screening-Programme so zu gestalten, dass sie den größtmöglichen Nutzen für die Bevölkerung bieten, ohne die Schäden durch Überdiagnosen zu überwiegen.

Fazit: Die Zukunft des Prostatakrebs-Screenings
Die Forschungsergebnisse unterstreichen die Bedeutung eines gut durchdachten Ansatzes bei der Einführung von Prostatakrebs-Screenings. Die Balance zwischen Früherkennung und Vermeidung von Überdiagnosen bleibt eine zentrale Herausforderung. Es bedarf einer sorgfältigen Planung, strengen Überwachung und kontinuierlichen Bewertung der Screening-Programme, um sicherzustellen, dass die Vorteile der Früherkennung die potenziellen Nachteile überwiegen. Nur so kann das Ziel erreicht werden, die Gesundheit der Männer zu schützen, ohne ihre Lebensqualität durch unnötige Behandlungen zu beeinträchtigen.

Informationsquelle: who . int