Eine angeborene Neigung
Zwischen den vier großen allergischen Volkskrankheiten allergischer Schnupfen, Asthma, Neurodermitis und Nahrungsmittelallergien, die in den folgenden Kapiteln ausführlich beschrieben werden, besteht ein wichtiger Zusammenhang: Sie beruhen zu einem erheblichen Teil auf Veranlagung. Die erblich bedingte Neigung, „übersensibel“ auf bestimmte Fremdstoffe zu reagieren, kann eine einzige, aber auch alle vier genannten Allergien auslösen.
Aus zahlreichen Untersuchungen geht hervor, dass neugeborene Kinder, deren Eltern oder Geschwister an diesen Allergien leiden, selbst ein hohes Krankheitsrisiko tragen (-> unten). Obwohl sich im Einzelfall nicht Vorhersagen lässt, ob oder wann aus einer Erbanlage auch tatsächlich eine Allergie entsteht und schon gar nicht, welches Organ betroffen sein wird, sollten (werdende) Eltern bestimmte Vorsorgemaßnahmen beachten, um bei ihren Kindern dem Ausbruch einer Allergie entgegenzuwirken. Atopie nennen Fachleute diese genetisch bedingte Bereitschaft, eine Überempfindlichkeit zu entwickeln. Der Begriff stammt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „versetzt“ und „ungewöhnlich“. Menschen, die eine erbliche Veranlagung haben, im Laufe ihres Lebens eine Allergie zu entwickeln, werden „Atopiker“ genannt. In ihrem Blut lassen sich (gegenüber Gesunden) deutlich erhöhte Spiegel des Antikörpers Immunglobulin E nachweisen. Die meisten Atopiker litten bereits in der Kindheit unter Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Neurodermitis. Ist ein Elternteil Atopiker, so wird das Risiko eines Kindes, eine allergische Erkrankung zu bekommen, auf zirka 25 Prozent geschätzt. Sind beide Elternteile Atopiker, erhöht sich das Risiko auf über 50 Prozent.
Viele Atopiker haben von Geburt an erhöhte, manche sogar extrem hohe IgE-Spiegel. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie im Laufe ihres Lebens zwangsläufig Allergien bekommen müssen. Umgekehrt gibt es auch Menschen mit sehr niedrigen IgE-Werten, die dennoch Allergiker werden.
Allergien beginnen oft früh
Der erste Kontakt mit Allergenen kann bereits während der Schwangerschaft erfolgen. In Studien der Universität Jena zeigte sich, dass allergische Reaktionen schwangerer Frauen auch den Embryo beeinflussen. Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass Botenstoffe aus dem mütterlichen Immunsystem bereits die Grundlage für eine erhöhte Anfälligkeit des Kindes auf allergische Reize bilden.
Am Beginn einer „Allergie-Karriere“ stehen häufig Unverträglichkeitsreaktionen auf Nahrungsmittel wie Kuhmilch, Hühnerei oder Weizen. Solche Sensibilisierungen gegen Lebensmittelallergene entstehen meist in den ersten Lebensmonaten und sind wichtige Vorboten für weitere allergische Erkrankungen: Vielfach entwickelt sich aus der Nahrungsmittelallergie noch im Kleinkindalter eine Neurodermitis, der im (Vor)Schulalter allergischer Schnupfen und/oder Asthma folgen. Wird allergischer Schnupfen nicht rechtzeitig behandelt, steigt (sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen) das Risiko, an Asthma zu erkranken.
Um Allergien vorzubeugen, sollten Kinder in den ersten sechs Lebensmonaten möglichst wenig mit Nahrungsmittelallergenen (zum Beispiel Kuhmilch) in Berührung kommen und (werdende) Eltern sämtliche Risikofaktoren meiden, die zum Ausbruch allergischer Krankheiten führen können.
Weitere Allergien
Neben diesen allergischen Volkskrankheiten, bei denen die erbliche Veranlagung eine Rolle spielt, gibt es noch weitere allergische Erkrankungen. Die wichtigsten unter ihnen – Kontaktekzeme, Nesselsucht, Insektengiftallergie und Arzneimittelunverträglichkeiten sind zusammengefasst. Die Entstehungsmechanismen dieser Krankheitsbilder sind noch nicht alle vollständig geklärt. Nur ein Teil von ihnen (etwa eine bestimmte Form der Nesselsucht kann in manchen Fällen auf der übermäßigen Bildung des Antikörpers Immunglobulin E beruhen. Andere wie zum Beispiel Kontaktekzeme entstehen durch zellvermittelte Reaktionen. Das bedeutet, dass bestimmte Abwehrzellen des Immunsystems, die T-Lymphozyten, im Kampf gegen Fremdstoffe Prostaglandine, Leukotriene und weitere Substanzen freisetzen, die eine Entzündungsreaktion hervorrufen.
Pseudoallergische Reaktionen
Neben „echten“ Allergien gibt es auch „allergieähnliche“ Reaktionen, die in der Fachsprache Pseudoallergien genannt werden. Der Begriff weist daraufhin, dass die auslösenden Mechanismen zwar nicht denen einer echten Allergie folgen, die Krankheitssymptome aber identisch sind.
Das heißt, die Symptome entsprechen denen, die bei „echten“ Allergien auftreten: Sie äußern sich mit Juckreiz, Schnupfen, Asthma und Hautausschlägen. Beide Erkrankungsformen lassen sich deshalb nur schwer voneinander unterscheiden. Nesselsucht und Angioödeme sowie Arzneimittelunverträglichkeiten sind besonders häufig pseudoallergischer Natur.
Wie pseudoallergische Reaktionen entstehen, ist noch nicht umfassend geklärt. Als erwiesen gilt jedoch, dass bestimmte Substanzen die Beschwerden auslösen. Dazu zählen natürliche Aromastoffe und natürliche Konservierungsstoffe in Lebensmitteln, vor allem aber Nahrungsmittelzusatzstoffe sowie eine Reihe von Arzneimitteln.
Pseudoallergie oder „echte“ Allergie?
Während bei allergischen Erkrankungen das Immunsystem beteiligt ist, hängen Pseudoallergien nicht vom Immunsystem ab.
Die wichtigsten Unterschiede bestehen darin, dass bei pseudoallergischen Reaktionen
• der Spiegel des Antikörpers IgE nicht erhöht ist,
• die jeweils verantwortliche Substanz unmittelbar wirkt (das heißt, es ist keine Sensibilisierungsphase vorausgegangen, sodass es bereits beim allerersten Kontakt mit dem jeweiligen Stoff zu Beschwerden kommt),
• Auftreten und Schweregrad der Symptome stark durch Menge oder Konzentration des jeweiligen Auslösers beeinflusst werden.
Daraus ergeben sich wichtige Folgen für Diagnostik und Therapie: Da Pseudoallergien – im Gegensatz zu Allergien – keine Antigen-Antikörper-Reaktion zugrunde liegt, lassen sie sich bislang nicht durch Haut- oder Bluttests nach- weisen. Die bei echten Allergien oft erfolgreiche Hyposensibilisierung macht bei Pseudoallergien keinen Sinn. Und: Da bei Letzteren die Beschwerden (stärker als bei Allergien) von der aufgenommenen Menge der Allergene ab- hängen, lassen die Symptome bei einer Reduzierung der auslösenden Substanzen nach – während bei echten Allergien und hohem Sensibilisierungsgrad schon kleinste Mengen gravierende Folgen haben können.