Allergie Medizin Geld und globale Wirtschaft
1983 veröffentlichte John Morrison Smith, einer der Mediziner, der der Öffentlichkeit und Ärzteschaft die Asthma-Epidemie der Nachkriegszeit ins Bewusstsein gebracht hatte, seine persönlichen Betrachtungen über die sich verändernden Asthmabehandlungsmethoden im Verlauf seines Berufslebens. Insbesondere blickte er auf die Anzahl von Behandlungsmethoden zurück, die Lungenspezialisten und Allergologen in den frühen 1950er- und 60er-Jahren zur Verfügung gestanden hatten. Obwohl einige der früheren Methoden (z. B. Röntgenbestrahlung bei Asthma und nasale Kauterisation bei Heuschnupfen) weitgehend aufgegeben worden waren, ähnelten viele der in der Nachkriegszeit angewandten Behandlungen zur Prävention und Linderung von Asthma, Heuschnupfen und anderen allergischen Leiden verblüffend denjenigen, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert angewandt worden waren. So empfahlen Ärzte zur Therapie und Prophylaxe beispielsweise immer noch in erster Linie die Vermeidung von Allergenen, Desensibilisierung und frische Luft in Freiluftschulen oder Bergkurorten. Auch wenn traditionelle Präparate (z. B. Opiate oder Stramonium und Belladonna enthaltende Asthmazigaretten) weiter angewandt wurden, stand Ärzten und Patienten gleichzeitig ein immer größer werdendes Arsenal an Medikamenten zur Linderung allergischer Symptome zu Verfügung.
So gab es eine ganze Reihe von pharmazeutischen Mitteln. Einige Medikamente, wie Germolene für Ekzeme oder Dristan für Heuschnupfen, waren frei verkäuflich und wurden in den großen Zeitschriften und Zeitungen Europas und Nordamerikas (und manchmal auch in Entwicklungsländern) beworben. Andere Medikamente wurden strenger kontrolliert und waren nur auf Rezept erhältlich. Eine der ersten im 20. Jahrhundert eingeführten neuartigen Arzneien war Ephedrin, das als Ma Huang seit vielen Jahrhunderten in traditionellen chinesischen Arzneien enthalten war. Nach seiner Isolierung im späten 19. Jahrhundert, zog Ephedrin in den 1920er-Jahren erstmals die medizinische Aufmerksamkeit als Asthmamittel auf sich.
Zusätzlich wurden in Großbritannien und den Vereinigten Staaten verschiedene, dem Ephedrin vergleichbare Präparate zur Heuschnupfenbehandlung hergestellt und vertrieben. In den 1930er-Jahren kam beispielsweise Benzedrin (eine gesetzlich geschützte Amphetaminsulfat-Art) in Mode und veränderte die sozialen Klischeevorstellungen von Allergiepatienten: Laut einem Kommentar in der Times von 1938 neigten Kranke in der Heuschnupfenhochsaison nun dazu, „ihre Notizbücher wegzulegen und nach ihrem Benzedrin zu suchen“. Obwohl es bei der Asthmatherapie bald von Adrenalin (Epinephrin) ersetzt wurde, war Ephedrin bis weit in die Nachkriegszeit in Medikamenten enthalten. In den 1960er-Jahren beispielsweise bot die Bayer AG zur Linderung von Asthma, Bronchitis und Heuschnupfen Franol (das Ephedrin, Theophyllin und ein Barbiturat enthielt) oder Franol-Plus (dem zusätzlich ein Antihistamin zugefügt worden war) an.
Adrenalin war gleichfalls im frühen 20. Jahrhundert entdeckt und nach dem Nachweis der pharmakologischen Wirkung von Adrenalextrakten in den 1890er-Jahren und der darauffolgenden Erkenntnis der bronchodilatatorischen Wirkung von Adrenalin um 1900 in die medizinische Praxis eingeführt worden. In den 1920er-Jahren wurden Adrenalinspritzen zu einem wichtigen Hilfsmittel bei der Behandlung schweren Asthmas und zur selben Zeit wurden Adrenalinsprays auf den Markt gebracht. Die Erkenntnis der mit Adrenalin und entsprechenden Präparaten in Verbindung stehenden Kardiotoxizität (die mit der Wirkung der Medikamente auf Alpha- und Beta-Androzeptoren zusammenhing) führte in den 1940er-Jahren jedoch zur Einführung von Isoprenalin und zu einem Rückgang des Adrenalineinsatzes. Obwohl auch Isoprenalin kardiovaskuläre Nebenwirkungen hatte, dauerte es noch bis in die späten 1960er-Jahre, bis man kurz nach der Welle von Asthma-Todesfällen und der genaueren Regulierung der Isoprenalinverkäufe die bronchodilatatorische Wirkung adrenerger Mittel von ihren Einwirkungen auf das Herz trennen konnte und der Einsatz sicherer, selektiverer Bronchodilatatoren möglich wurde.
Seit den ausgehenden 1930er-Jahren wurde die Stellung adrenerger Medikamente zur Behandlung von Allergien von den Methylxanthinen Koffein, Theophyllin und Aminophyllin infrage gestellt. Koffein war von Henry Hyde Salter und anderen Autoren bereits im 19. Jahrhundert zur Asthmabehandlung empfohlen worden und in den ersten Jahr-zehnten des 20. Jahrhunderts war es in gesetzlich geschützten Asthmapräparaten enthalten. In den 1920er-Jahren erklärte die britische, in London ansässige Felsol Company, dass Felsolpulver, welches Koffein mit Phenazon, Anilipyrin und anderen Substanzen (einschließlich der traditionellen anti-asthmatischen Lobelie) kombinierte, „ein einwandfreies nicht-narkotisches Präparat zur Behandlung von Asthma bronchiale und cardiale [sowie] von chronischer Bronchitis“ wäre. Indem Briefe von zufriedenen Ärzten zitiert wurden, behauptete der Werbeprospekt der Firma, während „Adrenalin und andere sogenannte Asthmaarzneien“ in nur 50 Prozent der Fälle und zeitlich begrenzt erfolgreich wären, könnte Felsol im Gegenteil 80 Prozent der Asthmapatienten helfen.’18 In den 1930er-Jahren wurden besonders in den Vereinigten Staaten Theophyllin und Aminophyllin üblich und ersetzten Adrenalin bei der Behandlung akuter Asthmaanfälle.
Die neuen Allergiemedikamente verdankten ihr Entstehen der dramatischen Entwicklung der Pharmaindustrie Mitte des 20. Jahrhunderts. Auch wenn verschiedene Pillen und Tränke schon seit dem späten 18. und frühen 19. Jahrhundert von Herstellern und Einzelhändlern verfertigt worden waren, so entstand die moderne Pharmaindustrie im späten 19. Jahrhundert insbesondere in Deutschland und Nordamerika (und in geringerem Maße in Großbritannien), als die weiterentwickelte organische Chemie und Physiologie neue pharmakologisch aktive Präparate möglich machten. Wachsende Bevölkerungszahlen und verbesserte Lebensstandards führten in der westlichen Welt zu einer größeren Nachfrage an Medikamenten, was wiederum zur Expansion kleinerer Unternehmen führte. Britische Firmen wie Allen & Hanburys, Boots und May & Baker, amerikanische Betriebe wie Parke, Davis & Company und deutsche Unternehmen wie Bayer und Hoechst errichteten nicht nur neue Fabriken, um die Produktion zu steigern, sondern gingen auch Verbindungen mit anderen Unternehmen ein, um ihre Produkte in Übersee herstellen, bewerben und vertreiben zu können. So gründeten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert die amerikanischen Firmen Parke, Davis & Company, Abbott und Burroghs Wellcome Tochtergesellschaften oder unabhängige Firmen und Produktionsstätten in Großbritannien.
Der Erste Weltkrieg hatte großen Einfluss auf die Pharmaindustrie. Er regte die Forschung und Entwicklung an, beförderte Partnerschaften und Fusionen und leistete innerhalb dieses Sektors sowohl einer größeren Unabhängigkeit als auch mehr Wettbewerb Vorschub. So dehnten viele Firmen ihre Überseeaktivitäten und die internationale Zusammenarbeit (aber auch Konkurrenz) weiter aus und gründeten globale Pharmaunternehmen. Aufgrund des wesentlichen Fortschritts auf dem Gebiet der biomedizinischen Wissenschaften, einschließlich der Entdeckung von Hormonen und der Entwicklung von antimikrobiellen Mitteln in den Zwischenkriegsjahren, gründeten viele Pharmafirmen spezielle Forschungslabore oder bauten sie aus und nahmen dauerhaft Kontakt zu Universitätswissenschaftlern auf. Neben einer Förderung von Kreativität und Produktivität hatten solche Maßnahmen zusätzlich den Vorteil, die Verkaufszahlen in die Höhe zu treiben und der Industrie ein besseres öffentliches Image zu liefern.
Allergische Krankheiten wurden rasch zu einem Hauptthema für den wachsenden Pharmasektor. Im 19. Jahrhundert hatten Apotheker, Drogisten und kleine pharmazeutische Firmen Medikamente zur Linderung von Asthma hergestellt und verschiedene Vorrichtungen (z. B. Nelsons Inhalator oder den Bronchitiskessel) zur Inhalierung von Substanzen entwickelt, die die bronchialen Muskelkrämpfe abklingen ließen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts unterstützten britische und amerikanische Unternehmen darüber hinaus die Herstellung und den Vertrieb von Pollenpräparaten, die zur Diagnose und Behandlung von Heuschnupfen benötigt wurden. In Großbritannien schloss die amerikanische Firma Parke, Davis & Company einen Vertrag mit der Vakzinabteilung des St. Mary’s Hospital zu Vermarktung und Vertrieb von „Pollaccine“ und bakteriellen Impfstoffen. Diese Partnerschaft hatte bis in die 1960er-Jahre Bestand, als die Produktion von Beecham Research Laboratories übernommen wurde. In den Vereinigten Staaten vermarkteten Lederle, Abbott Laboratories und H. K. Mulford Company auf ähnliche Weise die im Handel erhältlichen Pollenextrakte für Hauttests und zur Desensibilisierungsbehandlung.
Dabei spiegelte die geografische Ausrichtung dieser Firmen sicherlich die wesentlichen Marktinteressen. Für die WHO wies Alain de Weck 1976 in seiner Studie über den Stand der Allergie darauf hin, dass sich die Firmen bis zu diesem Zeitpunkt „ausschließlich mit den Problemen von Industrieländern“ befasst hätten, „da die anderen gegenwärtig keinen ,Markt* darstellen“ würden.
Mitte des 20. Jahrhunderts und besonders nach dem Zweiten Weltkrieg weckten neue Erkenntnisse der an Allergien beteiligten interzellulären Vorgänge und Entzündungsprozesse und die steigendenden Asthma-, Heuschnupfen- und Ekzemraten gleichermaßen das Interesse der Pharmaindustrie als auch des Staates, neue Medikamente zu entwickeln und zu erproben. Im Großbritannien der 1950er-Jahre führte der Medical Research Council kontrollierte Versuchsreihen mit Kortisonazetat bei chronischem Asthma und beim Status asthmaticus (schwere, unbehandelbare Asthmaanfälle) durch. Die Bedeutung solcher Studien lag nicht nur in ihren wissenschaftlichen Ergebnissen, sondern auch in den finanziellen Folgen für eine bereits von den steigenden Ausgaben für Rezepte strapazierte Gesundheitsbehörde, die sich einer zunehmenden Epidemie von Asthmaerkrankungen gegenüber sah. Die meisten Anregungen zur Therapie kamen jedoch von den Forschern der Pharmaindustrie.
Sie konzentrierten sich auf verschiedene Einzelstrategien: Die Herstellung von Antihistaminen, die Entwicklung von entzündungshemmenden Kortikosteroiden, die Entwicklung von selektiveren sympathomimetischen Bronchodilatatoren und die synthetische Herstellung von sanften Mitteln zur Muskelentspannung, zum Beispiel Natriumcromoglykat.
Wie Ulrich Meyer nachgewiesen hat, unterstützte das Aufdecken der Bedeutung von Histamin bei der Anaphylaxie und bei Allergien die Entwicklung von Substanzen zur Unterbindung von dessen Wirkung, was auch zur Einführung von Torantil in den 1920er- und 30er-Jahren geführt hatte.
1937 wurde die Forschung weiter vorangetrieben, als Daniel Bovet (1907-1992) und Anne-Marie Staub, die am Pasteur- Institut tätig waren, über das Wirken von Antihistamin und die potenziellen klinischen Anwendungsmöglichkeiten gewisser Phenolether berichteten. Seit den frühen 1940ern stellten europäische Pharmaunternehmen, wie Rhöne-Poulenc, Hoechst und Bayer, eine Reihe von Antihistaminen her. Und auch in Präparaten wie Franol-Plus, die zur Behandlung von Atemwegsleiden eingesetzt wurden, waren Antihistamine enthalten. Die Einführung von Antihistaminen wurde sowohl von Allergologen als auch von den Pharmaunternehmen mit beträchtlichem Enthusiasmus willkommen geheißen. Auch wenn der anfängliche Optimismus der Mediziner, Antihistamine könnten Asthma heilen, bald durch Resultate klinischer Versuchsreihen zunichte gemacht wurde, halfen die neuen Medikamente bei der Behandlung von Heuschnupfen. Und die Pharmaunternehmen stellten schnell fest, dass die finanziellen Aussichten ebenso vielversprechend waren wie der medizinische Nutzen. 1955 führte die in Großbritannien ansässige Firma Allen & Hanburys ein neues Antihistamin ein. Die Grundlage von „Piriton“ war Chlorpheniramin, das ursprünglich vom amerikanischen Schering- Konzern entwickelt worden war. Wie der Vorsitzende von Allen & Hanburys deutlich machte, verband die Firma große Hoffnungen mit dem neuen Präparat:
Wir glauben jedoch, dass wir mit Piriton ein Antihistamin zur Verfügung stellen, das dem Ideal näher kommt als irgendein anderes. Es ist hochwirksam, die Dosierung niedrig, die Toxizität gering und unerwünschte Nebenwirkungen sind nicht vorhanden. Wir glauben, dieses Produkt wird eine große Zukunft haben.
Obwohl Piriton tatsächlich in großem Maßstab verschrieben wurde, in der Folgezeit sogar frei erhältlich und für den wirtschaftlichen Erfolg von Allen & Hanburys auf dem Allergiemarkt entscheidend war, wurde es schon bald von Unternehmen kritisiert, die konkurrierende Antihistaminpräparate herstellten, aber auch von Befürwortern vertrauter Methoden, wie der Desensibilisierung. Ein 1956 von der C. L. Bencard Ltd. herausgegebener Ratgeber, mit dem die eigenen Allergenpräparate zur Diagnose und Behandlung beworben wurden, bestand darauf, dass der Einsatz von Nicht-Histamin-Ambozeptoren den Einfluss von Antihistaminen „in vielen Heuschnupfenfällen und in fast allen Fällen von Asthma, allergischen Ekzemen und allergischer Rhinitis“ begrenzen würde. Darüber hinaus warnte der Ratgeber davor, dass die Wirkung von Antihistaminen oft nur vorrübergehend und Nebenwirkungen nicht selten wären. Im Gegensatz dazu würde eine spezifische Desensibilisierung „in einer großen Zahl von Fällen ein dauerhaftes Nachlassen der Symptome ohne fortgesetzte Medikamentation und mit einem Minimum an unerwünschten Nebenwirkungen“ bieten.
In den folgenden Jahrzehnten führten Befürchtungen, die Antihistamine der ersten Stunde könnten insbesondere für Schulkinder bei Prüfungen nachteilige Folgen haben, zur Entwicklung von nichtberuhigenden Antihistaminen wie Terfenadine (Triludan), 1980 von Merrell Dow Pharmaceuticals auf den Markt gebracht und ursprünglich nur auf Rezept erhältlich. Die Erkenntnis, dass auch andere Botenstoffe allergische Entzündungen auslösen konnten, unterstützte gleichfalls die Entwicklung von Medikamenten, die die Tätigkeit von Leukotrinen oder der ,slow-reacting substance of anaphylaxis“ (SRSA) blockierten, die in den 1940er-Jahren erstmals mit allergischen Reaktionen in Verbindung gebracht worden waren. Daher führte Merck 1998 den Leukotrinenantagonisten Montelukast Sodium (Singulair) ein, der in den Medien ausführlich besprochen wurde und der im folgenden Jahr den Prix Galien für das innovativste und nützlichste Pharniaprodukt erhielt. Trotz dieser Neuerungen blieben jedoch Piriton und andere frühe Antihistamine bei Ärzten, Patienten und Gesundheitsbehörden zur Behandlung von Hautallergien und Heuschnupfen beliebt. Wie Pamela Ewan 1989 in einem Heuschnupfenbericht für das Royal College of Physicians dargelegt hat, waren diese vermeintlich veralteten, primitiven Antihistamine dafür bekannt, „nur auf eine bestimmte Anzahl von Patienten beruhigend, bei einigen jedoch besser zu wirken und viel billiger zu sein“.
ln den Zwischenkriegsjahren profitierten Allergiepatienten auch von innovativen Behandlungsmethoden bei Entzündungen wie rheumatischer Arthritis, da man wusste, dass allergische Reaktionen eine starke entzündliche Komponente besaßen. Adrenalextrakte wurden in den 1930er-Jahren erstmals zur Behandlung von Asthma eingesetzt, mit zweifelhaftem Erfolg. 1948 veranlassten jedoch amerikanische Berichte über die entzündungshemmende Wirkung von synthetischem Kortison sowie von adrenocorticotrophen Hormonen (ACTH) bei Patienten mit rheumatischer Arthritis Forscher und Pharmaunternehmen in Nordamerika und Europa, diese Substanzen synthetisch herzustellen und an Patienten mit Arthritis und Asthma zu testen. In den 1950ern bewiesen vom Medical Research Council in Großbritannien koordinierte medizinische Versuche die Wirksamkeit von intramuskulär und oral eingesetztem Kortison bei Asthma.
Dennoch hielten die mit einem dauerhaften Einsatz von systemischen Steroiden in Verbindung gebrachten nachteiligen Wirkungen Ärzte davon ab, sie zu verschreiben. Das führte zur Entwicklung lokal wirksamer Präparate für die Behandlung von Asthma und Ekzemen. So schien Hydrokortison Mitte der 1950er-Jahre beispielsweise eine wirksamere Behandlungsmethode für schwere entzündliche Hautleiden und, in Form eines Pulvers, für Asthma zu sein.
Die weitere Entwicklung auf diesem Gebiet wurde von der Übernahme Allen & Hanburys’ durch die britische Pharmafirma Glaxo beeinflusst, die Kortikosteroide in großem Maßstab herzustellen begann. Obwohl Allen & Hanburys weiter unter eigenem Namen tätig war, wurde diese Konzentration an pharmazeutischer Macht nicht nur in Großbritannien spürbar, sondern schließlich auch in der ganzen Welt. 1963 brachte Glaxo Betnovate auf den Markt, das gemeinsam mit der amerikanischen Firma Schering entwickelt worden war, mit der Glaxo bereits zusammenarbeitete, um die überseeischen Verkäufe des Antipilzmittels Griseofulvin zu verbessern. Durch kluge Werbung wurde Betnovate schnell der Marktführer zur Behandlung von entzündlichen Hauterkrankungen wie Ekzemen und zu einer größeren Einkommensquelle für Glaxo. Obwohl Kinderärzte sich wegen der Nebenwirkungen und Rückfälle Sorgen machten, wurde lokal angewandtes Kortison als „das wertvollste Präparat im Waffenarsenal des Arztes“ anerkannt. Es war in der Lage, „eine juckende, rote und nässende Haut in wenigen Stunden“ zu kurieren.
In den folgenden Jahren strebte Allen & Hanburys unter dem schottischen Pharmakologen David Jack (*1924) als Leiter der Forschungsabteilung insbesondere danach, wirksamere lokale Steroide zur Behandlung von Atemwegserkrankungen zu entwickeln, und Druckluftinhalatoren zur besseren Versorgung der Lunge zu konstruieren. In den 1960er-Jahren wurde Beclamethason-Dipropionat, das Jack von Glaxo zugänglich gemacht worden und in Propaderm, einem Mittel gegen Hautleiden, enthalten war, als geeigneter Kandidat für ein zu inhalierendes Steroid identifiziert. Obwohl anfängliche Resultate nicht überzeugend waren, belegte eine britische Studie den Nutzen von inhaliertem Beclamethason als Alternative zur oralen Steroidbehandlung.
1972 wurde Beclamethason als Becotide zur Behandlung (oder genauer zur Verhinderung) von Asthma, und zwei Jahre später als Beconase zur Behandlung von Heuschnupfen auf den Markt gebracht.
Obwohl oder vielleicht auch weil sie den Umgang mit allergischen Krankheiten revolutionierten und beträchtlich zum Profit der Pharmaunternehmen beitrugen, wurden Kortikosteroide von Allergologen nicht allgemein begrüßt. Besonders Kliniker wogen das Für und Wider von Kortikosteroiden und der Allergen-Immuntherapie ab. Während Befürworter von Steroiden deren schlimme Nebenwirkungen herunterspielten und infrage stellten, ob die Allergen-Immuntherapie medizinisch wirksam wäre, wiesen Allergologen darauf hin, dass die Behandlung von Symptomen nicht notwendigerweise die beste Herangehensweise an Allergien sei und die Desensibilisierung seit vielen Jahren sicher und mit Erfolg angewandt würde. In einem Brief an die Lancet hob Jonathan Brostoff, klinischer Immunologe des Middlesex Krankenhauses in London, 1975 die Gefahren bestimmter systemischer Steroide hervor und klagte, dass ein Leitartikel derselben Zeitschrift die „Immuntherapie für Sommerheuschnupfen übermäßig kritisch“ behandelt hätte.
Solche Auseinandersetzungen müssen im Kontext eines schnell wachsenden und immer härter umkämpften Marktes für Antiallergie-Medikamente gesehen werden. Auch wenn international eindeutig Unterschiede bei Verschreibungspraxis und -mengen bestanden, man in den 1970ern viele neuartige Präparate noch nicht in allen Ländern erhalten konnte, waren mögliche Profite des weltweiten Vertriebs von Kortikosteroiden und anderen Antiallergiemitteln bereits absehbar. In den späten 1960er-Jahren stieg Allen & Hanburys’ Anteil am britischen (und schließlich am globalen) Allergiemarkt durch die erfolgreiche Entwicklung eines selektiven Bronchodilatatoren.
Der Anstoß kam einmal mehr von David Jack und seiner Mannschaft. Die Bemühungen, neue Stimulanzien für adrenerge Rezeptoren synthetisch herzustellen, die nur auf die Lungen und nicht auf das Herz einwirkten, bekamen starken Aufwind durch die Asthma-Epidemie Mitte der 1960er-Jahre, an der man Isoprenahn beteiligt glaubte. Die Entwicklung selektiverer Agonisten wurde 1948 durch die Unterscheidung von Alpha- und Beta-Rezeptoren und 1967 durch die weitere Differenzierung in Beta-1- und Beta-2-Rezeptoren durch Larry Lunts möglich, einem für Allen &C Hanburys tätigen Chemiker.
Im folgenden Jahr veröffentlichte die Forschungsabteilung von Allen & Hanburys zwei Artikel, in denen sie die chemischen und klinischen Merkmale einer neuen Zusammensetzung – AH 3365 – vorstellte, die 1969 als ein selektiverer und länger wirksamer Beta-Agonist als Isoprenahn oder Orciprenalin eingeführt wurde.142 Erhältlich in Form des Ventolininhalators, baute AH 3365 – oder Salbutamol – Allen & Hanburys’ Marktstellung aus.
Laut dem firmeneigenen Bericht zur Entwicklung von Ventolin, der zur Feier des 30. Jahrestages seiner Einführung geschrieben wurde, hatten bis 1985 die „Jahresumsätze 171 Millionen £ Sterling erreicht, zehn Jahre später überschritten sie 500 Millionen £“.
Zu Beginn der 1970er-Jahre war Salbutamol auch als Tablette erhältlich. Und Salbutamol-Zerstäuber erfreuten sich beispielsweise bei der Krankenhausbehandlung akuter Asthmaanfälle immer größerer Beliebtheit. Infolge der gängigen Praxis einiger europäischer Länder, wo Hauszerstäuber üblich waren, wurde Salbutamol auch in Groß-britannien in Form von Hauszerstäubern daheim angewandt, wenn es eine Finanzierung durch die NHS oder private Mittel erlaubten. Es war jedoch der leicht wiedererkennbare blaue Ventolininhalator, der die medizinischen Behandlungsmethoden und das öffentliche Bild von Asthma prägen sollte. Auch wenn man sich gelegentlich Sorgen wegen der dauerhaften Anwendung von Salbutamol bei Asthma machte und obwohl alternative Bronchodilatatoren (die entweder selektiver oder mit Steroiden kombiniert waren) auf den Markt gebracht wurden, wurde inhalatives Salbutamol in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zum meistverschriebenen Inhalator zur sofortigen Asthmabehandlung. Zusätzlich empfahlen nationale und internationale Therapie- Richtlinien als Sofortmaßnahme bei der Asthmabehandlung schnellwirksame Beta-2-Agonisten, deren Archetyp Ventolin war.
Die wachsende Popularität inhalativer Bronchodilatatoren wie Salbutamol wurde zum mahnenden Sinnbild epidemiologischer Asthmatendenzen und zum beredten Symbol der großen Ängste der Öffentlichkeit vor dem schnellen Anstieg der Gefahr, an Asthma zu erkranken oder zu sterben. In seinem Roman Herr der Fliegen gestaltete William Golding 1954 ein einsames und anfälliges Asthmakind, das den Allergologen und Psychiatern des frühen 20. Jahrhunderts bekannt Vorkommen musste: bebrillt, blass, übergewichtig und oft von den anderen Schiffbrüchigen ignoriert, ist Piggy „der einzige Junge in unserer Schule mit Asthma“. In den folgenden Jahrzehnten veränderte sich das öffentliche Bild von Asthma allmählich, als einige international bekannte Sportler zugaben, Asthma zu haben, und dieses Leiden immer häufiger auftrat. In den 1990ern bestand eine der Hauptpflichten von Krankenschwestern und Verwaltungsangestellten in Schulen darin, zu kontrollieren, ob eine steigende Zahl von asthmatischen Kindern auch ihre Inhalatoren benutzen würde. Dass Asthmatiker auf Medikamente angewiesen waren, galt nicht mehr länger als Anzeichen körperlicher Unterlegenheit und Eigentümlichkeit, sondern verlieh offenbar gleichermaßen Glaubwürdigkeit wie Prestige. Die experimentelle elektronische Musik von Aphex Twin erinnerte 1995 ein wenig bizarr an den großen Bekanntheitsgrad von Salbutamol: In einem „Ventolin“ genannten Stück integrierte die Band das Geräusch der Inhalatoren.
In den späten 1960er-Jahren wurde die Zahl der Medikamente zur Allergiebehandlung durch die Einführung von Natriumcromoglykat erweitert. Dieser neue Wirkstoff war der natürlich vorkommenden Substanz Khellin nachempfunden worden, die als ein sanftes Mittel zur Muskelentspannung bekannt war. Dass es zur Entwicklung von Natriumcromoglykat kam, ist auf die Initiative und Hartnäckigkeit Roger Altounyans (1922-1987) zurückzuführen, der seit 1956 in den Forschungslaboren von Bengers (einem Teil der Unternehmensgruppe Fisons) tätig war und als Kind Vorbild für die Figur Roger in Arthur Ransomes Serie von Kinderbüchern Swallows and Amazons gewesen war. Da er die Grenzen der auf Tierversuchen beruhenden Modelle für die Asthmaforschung erkannt hatte, optierte Altounyan – er litt seit seiner Kindheit sowohl an Asthma als auch an Ekzemen – für einen Selbsttest mit neuen Wirkstoffen. Nach der Überprüfung von nahezu hundert Wirkstoffen unter Anwendung bronchialer Allergen-Immuni- tätstests, identifizierten Altounyan und seine Kollegen FPL 670, das die Bronchienmuskeln entspannen konnte. Die Ergebnisse wurden 1967 in der Lancet und den Acta Allergologica veröffentlicht.
Im folgenden Jahr wurde das mit einer speziellen Vorrichtung angewandte Dinatriumcromoglykat unter den Namen Intal zugelassen, einer Bezeichnung, die sich von „interfere with allergy“ (bei der Allergie eingreifen) herleitete.
Auch wenn seine genaue Wirkungsweise unbekannt war, interessierten sich Allergologen und Atemwegsärzten sofort für Dinatriumcromoglykat. Darüber hinaus hatte es einen großen Einfluss auf die Finanzen von Fisons. Bald führendes Produkt des Unternehmens auf dem lukrativen globalen Markt, führte es zu ausgedehnten Forschungen bei der Entwicklung ähnlicher Produkte zur oralen Einnähme. Obwohl sich die Versuche in den neuen Forschungsstätten des Unternehmens in Loughborough vielversprechend anließen, wurden die Erwartungen auf eine oral einzunehmende Alternative für Intal enttäuscht. Frühe Wirkstoffe wie FPL 52757 beeinträchtigten die Leberenzyme. Proxicromil oder FPL 52787, in den späten 1970er-Jahren entwickelt, weckte Hoffnungen, aber Tierversuche brachten ein mögliches karzinogenes Potenzial ans Licht. Als Fisons das Medikament im Jahre 1981 kurz vor der Marktreife zurückzog, sank der Marktwert des Unternehmens um über 10 Millionen Pfund. Dennoch interessierte sich die Firma weiter für Antiallergie-Medikamente. Zusätzlich zu Intal produzierte das Unternehmen in den 1970er-Jahren Opticrom- Augentropfen, Rynacrom-Nasenspray und Nalcrom-Kapseln, die besonders in Italien und Spanien zur Behandlung von Nahrungsmittelallergien beliebt waren.
In den 1981 entstandenen Finanzberichten des Unternehmens, kurz vor der Rückziehung von Proxicromil und dem Erlöschen des Patentes auf Intal, wurde Fisons’ Angebot an Antiallergie-Medikamenten als „ein Grund für das große Einnahmenwachstum der Gruppe durch Pharmazeutika“ angesehen.
Wie die Beispiele von Allen & Hanburys und Fisons belegen, waren die Profite immens, die durch die weltweite Vermarktung von Antiallergie-Medikamenten erzielt werden konnten. Da private und staatliche Ausgaben zur Behandlung und Prophylaxe allergischer Krankheiten stiegen, verbesserten sich die Möglichkeiten zur Gewinnsteigerung für Pharmaunternehmen entsprechend. So wurde in den 1990ern der Markt allein für Asthmaprodukte auf ungefähr 5,5 Milliarden Pfund jährlich geschätzt. Sabutamol, das Schering-Plough mit einer Lizenz von GlaxoWellcome in den Vereinigten Staaten als Proventil vertrieb, war 1995 das meistverkaufte Asthmamedikament. Mit dem Verkauf von Ventolin, Becotide und Serevent (und deren überseeischen Varianten) erwirtschaftete GlaxoWellcome insgesamt 1,6 Milliarden Pfund. Damit war das Unternehmen auf diesem Gebiet Marktführer. Zur Jahrtausendwende hatte jedes größere Pharmaunternehmen ein Antiallergie-Produkt unter seinen zehn meistverkauften. Dabei ist zu beachten, dass die Zahlen auch den deutlichen Anstieg jährlicher Verkäufe nahelegen. 1994 lag das Gesamtwachstum des Marktes für Asthmaprodukte mit etwa 14 Prozent deutlich höher als die Wachstumsraten des Marktes für kardiovaskuläre und Magen-Darm-Produkte. Im Jahre 2002 prophezeiten Marktanalysten, dass GlaxoSmithKlines Verkaufssteigerung sich infolge der Einführung des neuen Asthmamittels Advair fortsetzen würde.
Vielleicht unvermeidlich, die von Pharmafirmen durch den Verkauf von Allergiemedikamenten erwirtschafteten Profite reizten zu manchem Widerspruch. Kritik an diesem Industriezweig war natürlich nicht neu. 1933 hatte Charles Forward beklagt, dass „in diesem Zeitalter der Kommerzialisierung und Bürokratie“ Chemieunternehmen und Forschungsinstitute in der Lage wären, „durch den Verkauf von Impfstoffen und ähnlichen Produkten große Gewinne zu erzielen“; solche Klagen klingen noch in A. J. Cronins Kommentaren zu Heuschnupfenvakzinen in The Citadel nach. In den 1930er- und 40er- Jahren überprüften amerikanische Allergiegesellschaften regelmäßig ihre Kontakte zur Pharmaindustrie und versuchten nicht nur, sich von Wissenschaftlern und Klinikern zu distanzieren, die von kommerziellen Laboren angestellt waren, sondern sahen auch sorgfältig die für die Aufnahme in das Journal of Allergy gedachten Werbeanzeigen durch. Mit der Möglichkeit steigender Profite nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs auch der Argwohn, dass Pharmaunternehmen wehrlose Patienten wirtschaftlich ausnutzen könnten. 1978 schrieb ein britischer Reporter in der Times, dass „die Medikamentenfirma, die viele der Medikamente herstellt, auch etliche der Chemikalien für die Agrikultur produziert, die auf dem Land gewöhnlich die Ursache für Heuschnupfen sind“.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts haben einige Journalisten angedeutet, die Einnahme von Antihistaminen wäre eher auf eine clevere Marktstrategie zurückzuführen, als auf eine nachweisbare medizinische Wirkung, und dass Menschen mit Asthma „eine wehrlose Konsumentengruppe“ wären, bereit, „fast alles auszuprobieren, was zur Linderung des Leidens beitragen könnte“. Zusätzlich wurde betont, dass Pharmaunternehmen multiple Allergiesyndrome scheinbar unterstützen würden, um zur Steigerung der Verkaufszahlen den ganzjährigen Einsatz von Antihistaminen nötig zu machen. Gleichzeitig sprach eine ganze Reihe von Heilpraktikern (die oft in direkter finanzieller Konkurrenz zu den Medikamentenfirmen und der konventionellen Medizin standen) der besorgten Öffentlichkeit aus der Seele und erklärten sich zum Opfer einer Verschwörung der Pharmabranche. 1997 beispielsweise behauptete Alexander Stalmatski in einem Buch über die Asthmabehandlung ohne Medikamente, die in den 1950er-Jahren von dem russischen Krankenhausarzt Konstantin Buteyko (1923-2003) entwickelt worden war, dass die Methode Buteykos oft deshalb von Asthmaspezialisten verworfen würde, weil sie „überall auf der Welt eine ernsthafte Bedrohung für die Profite von Medikamentenunternehmen und Apothekern, aber auch für den Ruf von Ärzten, Krankenhäusern und Wissenschaftlern“ darstellen würde.
Im Verlauf ihrer globalen Ausdehnung im 20. Jahrhundert entwickelte die Pharmaindustrie wirksame Strategien, um von öffentlicher Kritik und Verdächtigungen abzulenken. So unterstützen die an der Entwicklung und Vermarktung von Antiallergie-Medikamenten beteiligten Firmen wissenschaftliche und klinische Studien an Universitäten und Forschungsinstituten mit Geld, förderten Forschungslehrstühle, schlossen Verträge mit Laboratorien zur Herstellung und zum Vertrieb von Allergenpräparaten und finanzierten internationale Seminare, Symposien und Konferenzen, manchmal in Zusammenarbeit mit der WHO. Zusätzlich schufen Pharmaunternehmen Ausbildungsprogramme und produzierten praktische Ratgeber und Filme für Ärzte (wie die von Bencard und Parke, Davis & Company) sowie Faltblätter und Bücher für Patienten, die oft in Zusammenarbeit mit wohltätigen Einrichtungen entstanden, die sich der Verbesserung des allgemeinen Wissens und des beruflichen Umgangs mit allergischen Krankheiten widmeten. Schließlich nutzte die Pharmabranche auch die Macht der Medien, nicht nur in Form von Werbung in Zeitschriften und im Fernsehen, sondern auch durch Sponsoring. Im Jahr 2000 wurden zum Beispiel die Wetterberichte eines britischen Fernsehsenders während der Heuschnupfensaison von Piriton gesponsert. Natürlich kamen diese Initiativen sowohl den Forschern als auch den Patienten zugute. Gleichzeitig jedoch beschützten sie die von der Pharmaindustrie in die Entwicklung neuer Allergiepräparate gesteckten Gelder und die steigenden Profite, die dem globalen Markt für Allergieprodukte entlockt werden konnten.