Start Geschichte der Allergien Risikogesellschaft Zivilisation Krankheit und Allegrien

Risikogesellschaft Zivilisation Krankheit und Allegrien

1953

Risikogesellschaft Zivilisation Krankheit und Allegrien
Selten wird erkannt, dass jede Gesellschaft die ihr gemäßen Krankheiten hat – ja, dass jede Zivilisation ihre eigenen Krankheiten erschafft. Rene Dubos

Als sich das globale Netzwerk von Allergologen unter der Ägide nationaler Immunologiegesellschaften und der Weltgesundheitsorganisation ausdehnte und sich in den 1960er- und 70er-Jahren das öffentliche Interesse vertiefte, wurden Spekulationen über den Vormarsch allergischer Krankheiten in der Moderne ersetzt durch zuverlässigere empirische Untersuchungen zur geografischen und zeitlichen Allergieverbreitung. Detailliertes Erforschen globaler Allergieverhaltensweisen widerlegte sofort die Annahme, dass allergische Krankheiten weitgehend auf die westliche Welt beschränkt wären. So brachten Asthmastudien in so entlegenen Orten wie Tristan da Cunha, den Malediven und Tansania Verbreitungsraten zum Vorschein, die oft die in Industrieländern angetroffenen übertrafen. Trotz solcher Nachweise in isolierten Bevölkerungsgruppen legten epidemiologische Untersuchungen zur Allergieverbreitung unter Migranten (die aus Entwicklungsländern in den Westen gezogen waren), sorgsame Analysen der sich verändernden Krankheitsverläufe infolge zunehmender Kontakte von indigenen nichtwestlichen Völkern mit europäischen oder nordamerikanischen Besuchern, sowie die Bestätigung eines anhaltenden Stadt-Land-Gefälles bei vielen Allergienformen nahe, dass womöglich ein besonderer Aspekt der westlichen Zivilisation und Urbanisierung für die steigenden Zahlen allergischer Krankheiten in der ganzen Welt verantwortlich sein könnte. Immer häufiger sah man in der großen Ausbreitung von schädlichen Allergiereaktionen eine direkte Folge des Globalisierungs- und Modernisierungsprozesses. Epidemiologen und Allergologen interessierten sich dementsprechend für die Feststellung eines spezifischen „Verwestlichungsfaktors“, der die modernen Allergietendenzen erklären würde.

Epidemiologische Versuche, die Ätiologie allergischer Krankheiten genauer zu fassen, hatten jedoch mit methodologischen und konzeptuellen Problemen zu kämpfen. Unterschiedliche Diagnosemethoden, widersprüchliche Interpretationen der Statistiken, das Fehlen adäquater Reihenuntersuchungen und ausreichender Informationen aus vielen Gegenden und die Möglichkeit, dass die bestimmenden Umwelt- und Genfaktoren für allergische Anfälligkeiten je nach Ort und Art einer klinischen Allergie verschieden sein könnten, führten dazu, dass die Ätiologie nicht auf eine gemeinsame Formel gebracht werden konnte. Das gemeinsame Streben nach einer vernünftigen Erklärung für die globalen Allergieraten zersplitterte paradoxerweise umso mehr, je eifriger die Allergologen bemüht waren, den oder die jeweiligen Faktoren für das lokale sowie globale Allergievorkommen und -ausmaß dingfest zu machen. Insbesondere konzentrierten sich Kliniker und Wissenschaftler in aller Welt oft ziemlich einseitig auf den möglichen Einfluss bestimmter Gesundheitsgefährdungen durch den modernen westlichen Lebensstil: verändertes Verhalten von Allergenen im Freien und Luftverschmutzung, ein Übermaß an Allergenen im Haushalt, Ernährungsveränderungen, geringere Familiengrößen und hygienischere Lebensstile.

Dieses Artikel soll erkunden, wie eine Explosion von sich widersprechenden Erklärungsansätzen für zeitliche und geografische Allergietendenzen im späten 20. Jahrhundert von wachsender Sorge über angebliche Gesundheitsrisiken der modernen Zivilisation geprägt wurde.

Die Risikogesellschaft
In einem kurzen, 1961 veröffentlichten Handbuch zur Einführung in die Allergologie zog der Arzt Kenneth Hutchin eine Reihe von Erklärungen für den Anstieg allergischer Krankheiten im 20. Jahrhundert in Betracht. Hutchin, der allgemeinverständliche Ratgeber zu Diäten, Sex, Gesundheit von Geschäftsmännern und den Gefahren im Haushalt veröffentlicht hatte, fand, dass Allergien sich bloß deshalb so stark vermehrten, weil sie immer häufiger richtig diagnostiziert oder weil westliche Bevölkerungen zu Allergien neigen würden. Das würde gegenwärtig durch die dramatisch gesunkenen Sterblichkeitsraten durch Infektionskrankheiten und die damit verbundene höhere Lebenserwartung deutlicher zutage treten. Zusätzlich, so meinte Hutchin, habe das verbesserte immunologische Wissen dazu geführt, dass man nun oft allergische Reaktionen für Leiden verantwortlich machen würde, denen man zuvor andere Ursachen zugeschrieben hatte. Er hob hervor, dass „der Trend in der modernen Medizin dahin geht, mehr und mehr Leiden der Allergie zuzuschreiben“. Jedoch auch Hutchin brachte die zeitgenössischen Allergietrends mit den auffälligen Veränderungen der modernen Umwelt und neuen Lebensstilen in Verbindung: „Gewiss besteht bei einer modernen Lebensführung nicht zuletzt auch das größere Risiko eines Reizstoffkontaktes. Und schon in den 1950er-Jahren hatte auch George Payling Wright (1898-1964), Professor für Pathologie am Guy’s Hospital in London, den Umwelteinfluss auf Gesundheit und Überempfindlichkeit betont:

Die Einführung vieler hochgradig reaktionsfähiger Chemikalien in Medizin, Industrie und Haushalt, die in der Lage sind, sich mit Proteinen der Haut und anderer Gewebe zu verbinden, setzte sowohl Männer als auch Frauen einem viel größeren Risiko als früher aus, allergische Krankheiten zu entwickeln.

Und Rene Dubos wunderte sich in einigen Vorträgen, die er 1960 über das Wechselspiel der rein „sachlichen und verifizierbaren“ und der „fantasievollen und gefühlsbedingten“ Anteile von Wissenschaft am Brookhaven National Laboratory (Brookhaven Nationallabor) hielt, über die dramatischen Veränderungen von Krankheitsverläufen, die seit dem Zweiten Weltkrieg durch fundamentale Veränderung des modernen Lebens zustande gekommen wären:

Ich komme nun zu unseren eigenen Zeiten. Wer hätte sich noch vor einer Generation träumen lassen, dass Hypervitaminosis zu einer häufigen Ernährungskrankheit der westlichen Welt werden könnte, dass die Zigarettenindustrie, die Luftverschmutzung und Bestrahlungen für das Ansteigen bestimmter Krebsarten verantwortlich gemacht werden würden, dass die Einführung von Waschmitteln und verschiedener Kunststoffe das Auftreten von Allergien vermehren würden, dass die Fortschritte in der Chemotherapie und bei anderen Behandlungsmethoden eine neue Staphylokokkenpathologie schaffen würde und dass Alkoholiker und Patienten mit verschiedenen iatrogenen Erkrankungen in modernen Krankenhäusern so viele Betten belegen könnten?

Natürlich waren die Klagen über den gesundheitsschädlichen Einfluss eines modernen Lebensstils nicht neu. Im 18. Jahrhundert hatten Autoren wie George Cheyne, William Cadogan und Thomas Trotter beklagt, dass Unmäßigkeit, Bewegungsmangel und der übermäßige Verzehr exotischer und scharfer ausländischer Kost in der gesamten britischen Oberschicht zu einer Epidemie von Nervenkrankheiten, Gicht und Alkoholismus geführt hätten. Im 19. Jahrhundert stimmten George Beard in Amerika und Charles Blackley in England ähnliche Klagen an. Sowohl Beard als auch Blackley meinten, die starke Vermehrung einer Reihe von Nervenleiden, einschließlich Heuschnupfen, könnte auf das wesentlich höhere Tempo und den größeren Druck der westlichen Zivilisation zurückgeführt werden. Blackley warnte sogar ausdrücklich davor, dass sich der Heuschnupfen beim Fortschreiten der Zivilisation noch vermehren würde. Wie Charles Rosenberg betont hat, überzeugten andauernde Sorgen über krank machende Auswirkungen des Fortschritts nicht allein deshalb, weil sie dramatische Veränderungen bei der Epidemiologie von Krankheiten im Zuge des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wachstums spiegelten, sondern auch, weil mit ihnen große Vorbehalte gegen die im Entstehen begriffenen kapitalistischen Wirtschaftssysteme zum Ausdruck gebracht werden konnten.

Ungeachtet der offenkundig dauerhaften rhetorischen Wirkungsmacht von Sorgen über die Kehrseite der Moderne lassen sich an Sprache und Stoßrichtung der Argumente von Hutchin, Wright und Dubos in den 1960er-Jahren zwei unterschiedliche Züge bei der Auffassung der Beziehung zwischen Zivilisation und Krankheit im 20. Jahrhundert erkennen. Nämlich erstens eine Beschäftigung mit den umweltbedingten Faktoren von Krankheiten und zweitens das epidemiologische Interesse am Risiko. In erster Linie beleben die Autoren der Nachkriegszeit erneut die Überzeugung, dass technologische und industrielle Neuerungen auch neue umweltbedingte Krankheiten verursachen würden. Mit dem Fortschritt der Zivilisation sei auch die Zahl von Substanzen, die Allergien hervorrufen könnten, immer größer geworden.

Ende des 20. Jahrhunderts glaubte man, die Menschen (und auch die Tiere) der fortschrittlichsten Industrieländer wären von einem riesigen Meer von Allergenen umgeben, das insbesondere durch den Prozess der Industrialisierung und Urbanisierung immer größer werden würde. Demzufolge waren Allergene im Freien, zu Hause und am Arbeitsplatz ständig vorhanden, tummelten sich in Essen und Getränken, wurden von Autos und Bussen ausgestoßen, von Spielzeug, Elektrogeräten und Tieren an die Atmosphäre abgegeben und waren starke Reizstoffe für die Schmuck, Kosmetik und Medizin ausgesetzte Haut.

Mit der von der modernen Zivilisation erzeugten Umweltverschmutzung durch Allergene und mit dem unterschiedlichen Gefährdungsgrad durch sie wurden nicht nur die steigenden globalen Allergietendenzen erklärt, sondern auch regionale und geografische Unterschiede bei allergischen Krankheiten. So wurde der vermutete Zusammenhang zwischen Allergenen und Industrieabläufen, der moderne westliche Gesellschaften charakterisiert, mobilisiert, um das offenkundige Vorherrschen von Allergien in Städten, das steigende Auftreten von allergischen Krankheiten bei Migranten aus Entwicklungsländern oder das Gefälle beim Auftreten zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zu erklären. Bezeichnend ist, dass sogar Unterschiede unter den Völkern nicht selten mit Lebensstilen und der Umwelt, statt mit naturgegebener Veranlagung einer Rasse erklärt wurden. Ganz in diesem Sinne legte 1986 ein Bericht der WHO Beispiele aus den Vereinigten Staaten, Neuseeland, Nigeria und Tristan de Cunha vor, aber auch Studien zu Immigranten, um zu beweisen, geografische und rassische Unterschiede beim Allergievorkommen wären „mit größerer Wahrscheinlichkeit auf Umweltfaktoren wie zum Beispiel Ernährung und das Vorhandensein von üblichen Allergenen zurückzuführen, als auf rassenabhängige genetische Faktoren“. Auf ähnliche Weise taten in den 1980er-Jahren britische Forschungen zu Asthma- und Heuschnupfenraten genetische Faktoren als unwesentlich ab und gaben Unterschieden bei der Ernährung oder der verstärkten „Kontaminierung der Umwelt mit potenziellen Reizstoffen“ den Vorzug.

Die Konzentration auf umweltbedingte Allergieursachen hat wissenschaftliche Versuche, die die mögliche Rolle von genetischen Faktoren für Asthma und Heuschnupfen klären wollten, nicht völlig zum Verschwinden gebracht. Im frühen 20. Jahrhundert hatte man eine familiäre Prädisposition für bestimmte allergische Krankheiten (oder Atopien) erkannt und verschiedene Untersuchungen stellten einen erblich bedingten Einfluss sowohl auf die Überempfindlichkeit als auch auf das Alter bei Krankheitsausbruch fest. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg setzten Wissenschaftler und Kliniker in aller Welt die Suche nach dem Gen oder den Genen fort, die für die Festlegung der immunologischen Reaktionsfähigkeit auf Allergene verantwortlich sein könnten. Besonders die Tatsache des unterschiedlich starken Auftretens innerhalb von Gruppen einer Rasse mit derselben Umgebung sowie Beobachtungen bei Zwillingen und Bevölkerungsgruppen mit In-zucht stützten die Annahme, dass genetische Faktoren der Beachtung wert wären.

Die wissenschaftliche Erforschung von mutmaßlich erblichen Mechanismen war extrem breit gefächert. Einige Forscher wollten mit den neuen Techniken den Genotypus bestimmen, um die Gene bestimmter Chromosomen identifizieren zu können (z. B. den Code für die IgE-Rezeptoren) oder Verbindungen zu den für die Immunreaktion zuständigen Genen zu beweisen, wie zu denjenigen des Major Histocompatibility Complex’ (Haupthistokompatibilitätskomplex). Andere wiederum führten entweder detaillierte epidemiologische Untersuchungen durch, um die exakte Vererbungsweise zu entdecken, oder erkundeten die mutmaßliche Verbindung zwischen atopischen Krankheiten und selektiven Immunmangelzuständen, insbesondere den IgA-xMangel. So wurden Rasse, ethnische Zugehörigkeit und Familiengeschichte zwar weiterhin als wichtige Faktoren angesehen und, nicht ganz unerwartet, mit beträchtlichem Medieninteresse bedacht, doch viele Allergologen konzentrierten sich eindeutig stärker auf die umweltbedingten Auslöser moderner Allergien.

Der andere auffallende Zug, der Hutchins, Wrights und Dubos’ Auffassung von Vererbung als prädisponierenden Faktor von Allergien kennzeichnet, ist die Betonung des Risikos. In den 1960er- und 70er- Jahren war es unter Klinikern üblich geworden, sowohl umweltbedingte als auch genetische Allergiefaktoren unter dem Begriff des Risikos fassen. Während Hutchin und Wright noch vorsichtig von Risiken gesprochen hatten, die durch den Kontakt mit chemischen Reizstoffen entstehen könnten, nutzten Forscher in den darauffolgenden Jahren die komplexen demografischen und statistischen Analysen und machten diverse „Risikofaktoren“, die allergische Krankheiten verursachen würden, namhaft. Das Entstehen von Risikofaktoren-Analysen in allergologischen Arbeiten spiegelte die allgemeine Tendenz der Epidemiologie der Nachkriegszeit.

Das Verfahren der Risikoevaluation war im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert von der Versicherungsbranche entwickelt worden. Indem man die Wahrscheinlichkeitsrechung mit neuen statistischen Hilfsmitteln verschmolz, hatten die Versicherungs-gesellschaften ursprünglich versucht, alters- und geschlechtsspezifische Sterblichkeitsraten zu prognostizieren. Doch in der Folgezeit „dehnten sie dieses Prinzip auf andere Charakteristika aus, einschließlich Beruf, Körperbau und Blutdruck, und bezeichneten sie als Risikofaktoren“. In den 1960ern festigten die Ergebnisse größerer Studien, die versucht hatten, Risikofaktoren bei Koronarerkrankungen und Lungenkrebs festzustellen, gemeinsam mit dem wachsenden Interesse an Präventivmaßnahmen für chronische, nicht ansteckende Krankheiten die Ansicht, dass epidemiologische Risikoeinschätzungen von Nutzen seien. Natürlich gab es auch Gegenstimmen zur Risikofaktorenanalyse. In der Nachkriegszeit wurde kritisiert, das könne zu Schuldzuweisungen führen, Laborforschungen und klinische Erfahrung verdrängen und problematische rechtliche Folgen nach sich ziehen. Vor Kurzem haben Historiker und Sozialwissenschaftler auch entlarvt, dass die „Kultur des Risikomanagements“ staatlichen Stellen ein wirkungsvolles Instrument an die Hand gab, um moralisierend und regulierend gegen bestimmte Formen angeblich gefährlichen Verhaltens Einzelner oder von Gruppen vorzugehen. Trotzdem dominierten in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg die Identifizierung und Reduzierung von Risiken immer stärker die klinischen, epidemiologischen und volksgesundheitlichen Krankheitsvorstellungen.

Auf dem Gebiet der Allergologie, aber auch bei der Erforschung von Krebs und Herzkrankheiten, hielt man die Zahl möglicher Risikofaktoren für hoch. Dazu zählte man genetische Prädispositionen, körperliche und geistige Charakteristika, umweltbedingte und berufliche Faktoren sowie Ernährung, Rauchen, sportliche Betätigung, Alkoholkonsum und Hygiene. In der Tat war die Art, wie man die Krankheitsursache nun als komplexe und durch viele Faktoren bedingte Einheit auffasste, eines der auffallendsten Merkmale der neuen epidemiologischen Konzentration auf Risiken. Das stand deutlich im Gegensatz zu der Theorie eines einzelnen für die Ätiologie verantwortlichen Auslösers, wie beispielsweise die auf Bakterien zurückgeführten Krankheitstheorien des späten 19. Jahrhunderts. Wie von einigen soziologischen Arbeiten angedeutet, wurde die von den Epidemiologen akzeptierte, viele Faktoren umfassende Beurteilung des Risikos gewöhnlich von den Patienten und ihren Angehörigen geteilt, die ihre Allergien im Wechselspiel von Umwelt, Lebensstil und genetischer Veranlagung begründet sahen.

Es muss jedoch festgehalten werden, dass die Risikodiskurse des späten 20. Jahrhunderts deutlich sozialwirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Züge hatten. In den 1980er verknüpfte der einflussreiche deutsche Soziologe Ulrich Beck das Auftreten von Risiken – und deren geistesgeschichtliche und politische Bedeutungen – ausdrücklich mit den Modernisierungsprozessen. „Die heutigen Risiken und Gefährdungen“, schreibt er, „unterscheiden sich also wesentlich durch die von den äußerlich oft ähnlichen des Mittelalters durch die Globalität ihrer Bedrohung […] und ihre modernen Ursachen. […] Sie sind pauschales Produkt der industriellen Fortschrittsmaschinerie und werden systematisch mit deren Weiterentwicklung verschärft.“ So gesehen waren die modernen Risiken (von Beck größtenteils als Umweltverschmutzung aufgefasst) das unvermeidliche Ergebnis des kapitalistischen Strebens nach Reichtum: „In der fortgeschrittenen Moderne geht die gesellschaftliche Produktion von Reichtum systematisch einher mit der gesellschaftlichen Produktion von Risiken.“

Historisch gesehen entstand die Rede vom Risiko in jenen Teilen der Welt, in denen sich „durch das erreichte Niveau der menschlichen und technologischen Produktivkräfte […] echte materielle Not“ verringert hatte und wo neue Gefahren in „einem bis dahin unbekannten Ausmaße freigesetzt“ worden waren. In dieser umweltbedingten Unsicherheit, würden die Menschen, so Beck, auf einem „zivilisatorischen Vulkan“ leben.

Wissenschaftler und Ärzte wurden sowohl von der Risikofaktorenanalyse, von historischen Tatsachen, die die Umwelt geprägt hatten, als auch von den politischen und moralischen Implikationen von Risiko ermuntert, sich intensiv mit der Entlarvung der externen umweltbedingten, im Gegensatz zu den internen genetischen Allergieursachen zu befassen. In mancher Hinsicht lief dieser Prozess der Behandlung individueller Anfälligkeit – durch Hauttests und Desensibilisierung – zuwider. Zusätzlich stellten umweltorientierte Allergieauffassungen die Berechtigung der Pharmaindustrie, Laborforschung biochemischer Vorgänge von Allergien zu vertiefen, infrage. Dennoch ermöglichte der Risikofaktorenansatz zur Krankheitsprävention gemeinsam mit der im Entstehen begriffenen Ökologie, die die Gefahren für Umwelt und Gesundheit durch die westliche Zivilisation betonte, eine Entwicklung neuer Modelle für klinisches Einschreiten. Auch wurde eine Gesundheitspolitik möglich, die in erster Linie jene bedrohlichen Aspekte moderner Lebensstile ins Auge fasste, mit denen sowohl die globalen Tendenzen allergischer Krankheiten als auch die periodische Verschlimmerung von Symptomen bei einzelnen Patienten erklärt werden konnten. Ebenso wie Krebsspezialisten im späten 20. Jahrhundert danach strebten, das Vorhandensein und den Einfluss neuer Karzinogene zu entdecken, bemühten sich Allergologen, neue Allergene in der Atmosphäre, in Haushaltsgegenständen oder in Speisen, Getränken und Medikamenten zu identifizieren.