Insulin ohne Nadeln: Eine Revolution für Menschen mit Diabetes
Leben mit Typ-1-Diabetes: Ein täglicher Balanceakt
Für Lee Calladine ist das Leben mit Typ-1-Diabetes seit 25 Jahren Alltag, aber ein anstrengender. Um seinen Blutzucker zu kontrollieren, sticht er sich bis zu achtmal täglich mit einer Nadel, um Insulin zu injizieren. Diese Routine ist für ihn mittlerweile so selbstverständlich, dass er keine Scheu mehr vor den Einstichen hat. Dennoch bringt sie Herausforderungen mit sich.
„Ich muss ständig die Einstichstellen wechseln, da wiederholte Injektionen an derselben Stelle Gewebeschäden verursachen können“, erklärt Calladine, der in Portsmouth, Großbritannien, lebt und als Veranstaltungskoordinator für die Diabetes Research & Wellness Foundation arbeitet. „Wenn ich versehentlich in vernarbtes Gewebe spritze, wird das Insulin nicht richtig aufgenommen.“
Obwohl eine Heilung von Typ-1-Diabetes der heilige Gral wäre, träumen viele Betroffene von einer anderen Innovation: Insulin zu verabreichen, ohne Nadeln benutzen zu müssen. Genau hier setzt die Arbeit von Professor David Fernandez Rivas an der Universität Twente in den Niederlanden an.
BuBble Gun: Insulin per Flüssigkeitsstrahl
Professor Rivas und sein Team haben ein EU-finanziertes Projekt namens BuBble Gun ins Leben gerufen, das eine Methode entwickelt, Flüssigkeiten ohne Nadeln in die Haut zu transportieren. Der Kern der Technologie liegt in einem Laserstrahl, der Flüssigkeit in einer Glaskartusche erhitzt, bis eine Blase entsteht. Diese Blase drückt die Flüssigkeit mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 100 Metern pro Sekunde in die Haut.
Der Clou: Statt die Haut zu durchstechen, wie es bei einer Nadel der Fall ist, wird die Flüssigkeit sanft zwischen die Hautzellen geschoben. Dadurch werden Schäden an Haut und Gewebe minimiert, während die gleiche Wirksamkeit wie bei herkömmlichen Injektionen erreicht wird.
Die Technologie könnte Millionen von Menschen helfen – nicht nur den 9 Millionen weltweit, die an Typ-1-Diabetes leiden, sondern auch Menschen mit anderen Krankheiten, die regelmäßige Injektionen benötigen. Besonders für die 25 % der Bevölkerung, die Angst vor Nadeln haben, könnte dies ein Wendepunkt sein.
„Die Entfernung von Schmerz und Angst beim Spritzen wird für viele Menschen mit Nadelphobie einen großen Unterschied machen“, erklärt Rivas.
Technische Herausforderungen und medizinisches Potenzial
Präzision ist entscheidend
Eines der größten Hindernisse für die Umsetzung der BuBble Gun-Technologie ist die Variabilität der menschlichen Haut. Faktoren wie Alter, Geschlecht, Ethnie und Lebensstil beeinflussen die Hautdicke. Raucher haben beispielsweise oft dünnere Haut, was die Tiefe des Flüssigkeitsstrahls beeinflussen könnte.
„Es ist entscheidend, dass der Flüssigkeitsstrahl genau die richtige Tiefe erreicht, ohne zu spritzen oder in umliegendes Gewebe zu gelangen“, erklärt Rivas. Seit 2018 arbeitet das Team an Laborexperimenten mit künstlichem Hautgewebe sowie echtem menschlichem Gewebe. Tests an menschlichem Gewebe laufen seit 2022, und erste Versuche mit gesunden Freiwilligen könnten noch in diesem Jahr beginnen.
Potenzial über Diabetes hinaus
Die BuBble Gun könnte weit über die Insulinverabreichung hinaus eingesetzt werden. Rivas glaubt, dass viele Impfstoffe genauso effektiv – oder sogar besser – wirken könnten, wenn sie in die Haut statt in die Muskeln injiziert würden. Diese Innovation könnte auch die Behandlung anderer chronischer Erkrankungen revolutionieren, die regelmäßige Injektionen erfordern.
Eine Vision für die Zukunft: Intelligente Hautpflaster
Integration von Technologie und Komfort
Eines der spannendsten Zukunftsziele des Projekts ist die Entwicklung eines Hautpflasters, das die BuBble Gun-Technologie integriert. Dieses Pflaster würde nicht nur Insulin automatisch verabreichen, sondern auch kontinuierlich den Blutzucker überwachen. Ein solcher Fortschritt könnte das Leben von Millionen Betroffenen erheblich erleichtern.
„Stellen Sie sich vor, wie sich das Leben eines besorgten Elternteils verändert, der nachts nicht mehr aufstehen muss, um den Blutzucker seines Kindes zu überprüfen“, erklärt Rivas. Das Pflaster könnte Insulin genau dann abgeben, wenn es benötigt wird, und gleichzeitig den Patienten beruhigen, dass alles unter Kontrolle ist.
Von der Forschung zur Praxis: Nächste Schritte
Startup und Markteinführung
Um die Technologie weiterzuentwickeln, hat das BuBble Gun-Team ein Startup namens FlowBeams gegründet. Ziel ist es, bis 2025 einen Prototyp zu präsentieren und Industriepartner für die Kommerzialisierung zu gewinnen.
Die Vision geht jedoch über Insulin hinaus. Die Technologie könnte in Impfprogrammen, der Krebsbehandlung und anderen Bereichen der Medizin eingesetzt werden. Sie hat das Potenzial, medizinische Eingriffe weltweit zugänglicher, weniger belastend und effektiver zu machen.
Eine nadelfreie Zukunft: Hoffnung für Millionen
Die BuBble Gun-Technologie steht für einen bahnbrechenden Ansatz, der die Art und Weise, wie Medikamente verabreicht werden, revolutionieren könnte. Für Menschen mit Diabetes, Nadelphobie oder chronischen Krankheiten bedeutet dies mehr Lebensqualität, weniger Schmerz und eine verbesserte Gesundheitsversorgung.
Mit ihrer innovativen Kombination aus Wissenschaft und Technik könnte die BuBble Gun die Medizin grundlegend verändern – ein echter Wendepunkt für Millionen von Patienten weltweit.
Informationsquelle: who . int